Der Aufruf

Für eine neue Gemeinwohlorientierung des Kölner Immobilienmarktes und Förderung von innovativen Wohn-, Gewerbe- und Kulturprojekten

Ein Plädoyer der unterzeichnenden zivilgesellschaftlichen Gruppen

Köln ist eine Stadt der Bürger*innen und eine Stadt der sozialen Vielfalt. Doch auch hier sind diese Qualitäten durch die Verknappung im Immobilienmarkt und dessen zunehmender Ökonomisierung1 stark bedroht und damit auch der Zusammenhalt der Gesellschaft. Gleichzeitig bildet sich der gesellschaftliche Wandel im Sinne der demografischen Entwicklung und der Veränderung der Lebensstile nur unzureichend im Immobilienmarkt ab. Befriedigende Antworten der bisherigen Akteure auf ökologische Fragen wie Flächenverbrauch und Lebenszyklusbilanz der Gebäude sind bisher ebenfalls kaum zu erkennen. All diese Themen zu adressieren und Lösungen dafür auszuprobieren, ist integraler Teil gemeinschaftlicher Wohnprojekte – die heute besser als Immovielien2 bezeichnet werden. Diese fristen jedoch, trotz verbaler Anerkennung z.B. im Stadtentwicklungskonzept Wohnen 2015 oder als Teile im Zielgerüst der Kölner Perspektiven 2030, noch ein bescheidenes Nischendasein. Um dem, auch von der Oberbürgermeisterin formulierten, Anspruch gerecht zu werden, Köln im Ranking der Städte dorthin zu führen, wo es als viertgrößte deutsche Stadt hingehört3, fordern wir umgehend eine Anpassung der Politik und des Verwaltungshandelns. Viele Städte machen das bereits vor, wir können auf deren Erfahrungen aufbauen und es noch besser machen. Hierfür brauchen wir:

  1. Anerkennung des Mehrwerts von Immovielien auf allen Ebenen von Politik und Verwaltung, festgehalten in einem Leitbild mit qualitativen und quantitativen Zielen
  2. Ausreichende Mittelausstattung für die Verwaltung, um eine solche Transformation in Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Akteuren voranzutreiben
  3. Aufbau und Weiterentwicklung einer Fachstelle zur Beratung nach außen und innen und einer zusätzlichen externen Einrichtung nach dem Vorbild anderer Städte
  4. Kooperative Unterstützung von Immovielien von der Bauleitplanung bis zum Projektabschluss
  5. Bereitstellung von ausreichenden Flächen zu leistbaren Konditionen im Rahmen vorbildlicher Konzeptvergaben
  6. Beteiligung am bundesweiten Diskurs, Lernen und kooperative Weiterentwicklung der Instrumente.

1 Der Fachbegriff Finanzialisierung trifft es besser, ist aber weniger bekannt. 
2 Eine neue Begriffsprägung als Synonym für Immobilien von Vielen für Viele/Vielfalt 
3 Wer ist Henriette Reker?, KStA, 7.9.19

Wir wünschen uns ein Köln, das Teil einer fortschrittlichen, transformativen Bewegung zur Gestaltung unseres Lebensraums Stadt ist. Dazu gehört es, Rahmenbedingungen zu schaffen, die das vielfältige Engagement anregen, kreative Ideen erblühen lassen und zivilgesellschaftliche Kräfte mobilisieren, um mehr gemeinwohlorientierte Projekte Wirklichkeit werden zu lassen.

Worauf es im Detail ankommt

Wir, die Unterzeichnenden, sind zivilgesellschaftliche Akteure, die sich für eine Umorientierung in

Stadtentwicklung und Baulandmanagement einsetzen. Ziel ist, durch weitere Baugemeinschaften und Wohnprojekte die Gemeinwohlorientierung zu einem integralen, substanziellen und transformativ wirkenden Bestandteil des Immobilienmarktes werden zu lassen. Dies steht im Grundgedanken im Einklang mit den hierzu gefassten Beschlüssen des Rates der Stadt Köln zum Baulandmanagement (Maßnahme B4) im Stadtentwicklungskonzept Wohnen von 2015[1] (StEK-Wohnen). Trotz dieser Beschlusslage gibt es, obwohl dort Referenzen wie München und Hamburg benannt werden, auf rein städtischen Grundstücken bisher keine Fortschritte und die Entwicklung in Köln hinkt diesen noch um viele Jahre hinterher.

In diesem Sinne ist dieser Forderungskatalog ein direkter Beitrag gemäß der im StEK-Wohnen formulierten Einladung: „Das Stadtentwicklungskonzept Wohnen ist als offener Prozess angelegt. Es ist eine

Einladung an die Stadtgesellschaft, das Wohnen in Köln mit zu gestalten und sich am Dialog über die Kölner Wohnungspolitik zu beteiligen.“

Als zivilgesellschaftliche Akteure engagieren wir uns für ein neues, umfassendes Gemeinwohlverständnis in Umgang mit Grund und Boden und wollen dies mit konkretem Leben füllen. Der bisherige Umgang hat weder die soziale noch die gesellschaftliche Entwicklung der Stadt hinreichend gefördert und zudem die ökologischen Probleme deutlich verschärft. Auf Grund der entstandenen Schieflage braucht es umgehend deutliche Korrekturen, zu denen wir hier Eckpunkte beschreiben. 

Das Ziel ist deutlich: Die Qualität der Stadt erhalten, sie stetig weiter zu entwickeln, und – wo erforderlich – wiederherzustellen, und gleichzeitig Antworten auf die Fragen eines verantwortungsvollen Umgangs mit endlichen Ressourcen zu finden.

Auch wenn wir hier die Situation des Mietermarktes nicht explizit adressieren, sind wir solidarisch mit allen Mietern, die bereits heute in ungeeigneten und sie wirtschaftlich oder sozial überfordernden Verhältnissen leben und betrachten es als verpflichtende Aufgabe der Politik, hierfür Lösungen zu finden. Beide Themen bedingen sich gegenseitig und dürfen nicht in Konkurrenz gesetzt werden.

Wir beschreiben hier insbesondere jene Bedingungen, die es zur Schaffung und Weiterentwicklung von alternativen Wohn-, Kultur- und Wirtschaftsformen braucht. Diese werden trotz ihres anfangs geringen Umfangs wichtige Impulsgeber für die erforderliche Transformation sein. Zukunftsfähiges Wohnen, Leben und Arbeiten ist eingebettet in seinen sozialen, ökonomischen und kulturellen Kontext. Diese Aspekte sind wo immer möglich gemeinsam oder zumindest im fairen Ausgleich zu denken.

Unsere Forderungen an Politik und Verwaltung in Köln im Einzelnen:

  1. Wir fordern, die Bedeutung innovativer, gemeinwohlorientierter Wohnformen aus zivilgesellschaftlicher Hand anzuerkennen und dem im StEK-Wohnen bereits 2015 doku-mentierten Veränderungswillen endlich robuste Maßnahmen folgen zu lassen. Diese Art von Projekten und Initiativen sind nicht länger als Nische von und für Menschen mit besonderen sozialen Interessen und Bedarfen zu verstehen, sondern als Speerspitze einer neuen urbanen, inklusiven und nachhaltigen Stadtentwicklung.
  2. Wir fordern, für eine solche Entwicklung ausreichende personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Die Sozialrendite gemeinwohlorientierter Projekte leistet einen wertvollen Beitrag zum Quartier, steigert die Lebensqualität, fördert das Engagement der Bewohner*innen für ihre Nachbarschaft und trägt zur Teilhabe an der Stadtgesellschaft bei. Durch Umwidmung des seit Jahren nicht ausgeschöpften Aufstockungsbudgets für geför-derten Wohnraum könnten hierfür Mittel bereitgestellt werden5.
  3. Wir fordern, ein eigenes, gemeinwohlförderndes, immobilienwirtschaftliches Leitbild zu entwickeln und einem Wohnungsbauprogramm zugrunde zu legen, dass die Erkenntnisse des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumplanung und der Immovielienbewegung berück-sichtigt. Hierzu gehört der aktive Dialog mit den Akteuren aus der Zivilgesellschaft an umgehend zu identifizierenden Modellstandorten, als Bürgerbeteiligung auf Augenhöhe und im Geiste kooperativer Projektentwicklung. Ein solches Leitbild muss sich organisch weiter entwickeln und konkretisieren, so dass sich ein zunehmend differenziertes Leitbild aus den Projekterfahrungen ergibt. Insbesondere die Parteien sind aufgefordert sich im Kontext der Kommunalwahlen zu den hier aufgeworfenen Fragen zu positionieren. Für kurzfristiges, konkretes Handeln gibt es bereits genügend Vorbilder, an denen sich Köln zügig orientieren kann. Hamburg und München wurden bereits im 2013 verfassten StEK-Wohnen 2015 genannt und sollten durch Wien, Berlin, Zürich, Tübingen, etc. ergänzt werden.
  4. Wir fordern, eine ambitionierte Quote von mind. 10-15% für innovative, selbstorganisierte Projektformen für alle städtisch entwickelten Flächen festzulegen und zusätzlich die Gestal-tungs- und Verhandlungsspielräume mit privaten Grundstückseigentümern auszunutzen (s. Tübingen). Die Erfüllung der Quote ist als kooperatives Ziel zwischen Stadt und den Projektinitiativen zu verstehen. Nicht erfüllte Quotenteile werden nachgeholt, um bald relevante Anteile am Immobilienmarkt beispielhaft zu entwickeln. Zu den Projektformen, die am besten mit einer urbanen Nutzungsmischung umgesetzt werden sollen, gehören:
    1. Wohnprojekte
    2. Kunst- und Kulturprojekte
    3. Soziokulturelle Projekte
    4. Kleingewerbe und innovative urbane Produktion, z.B. genossenschaftliche Gewerbehöfe und FabLabs.

und deren Mischformen.

  1. Wir fordern, die vom Rat beschlossene Beratungsstelle in der Wohnungsbauleitstelle so auszustatten und weiter zu entwickeln, dass sie in der Lage ist, Projektinitiativen effektiv zu beraten, und das Thema gemeinschaftlicher Projekte in der Verwaltung wirksam zu verankern. Die Aufgaben der Beratungsstelle sind in Ergänzung zur politischen Beschlusslage:
    • Die städtische Beratungsstelle berichtet regelmäßig über den Stand der Umsetzung der Quote für gemeinschaftliche Projekte und die Herausforderungen, diese zu erreichen und erarbeitet Verbesserungsvorschläge.
    • Die städtische Beratungsstelle unterstützt die Projektinitiativen wirkungsvoll in Bezug auf Förderprogramme, z. B Wohnungsbauförderung , die gerade hier im Sinne einer Gemeinwohlorientierung und sozialen Mischung integraler Bestandteil werden sollten, bisher jedoch hohe Abwicklungsrisiken mit sich bringen
    • Die Beratungsstelle steuert die Evaluierung von existierenden und neuen Projekten und stellt so die faktenbezogene Weiterentwicklung sicher.
    • Die Beratungsstelle soll vor der Konzeptvergabe die Bebaubarkeit, zumal von schwierigen Grundstücken, bis hin zur Bauvoranfrage (s. Frankfurt) klären. Hierfür sind zusätzliche Mittel nötig.

Die erfolgreiche Arbeit der städtischen Beratungsstelle und die Quote für Projekte des gemeinschaftlichen Bauens und Wohnens führt zu einer steigenden Zahl von Projekten. Die Aufgaben der städtischen Beratungsstelle, v. a. die Beratung der Gruppen, werden dann an eine externe Einrichtung, die mit einem ausreichenden Budget ausgestattet wird, ausgelagert. Diese fungiert als Beratungsstelle für die Gruppen und als Vermittlerin zwischen Stadt und Akteuren (s. München, Hamburg, Berlin, Frankfurt etc.). Die externe Beratungsstelle ent-wickelt in Zusammenarbeit mit der städtischen Beratungsstelle geeignete Vergabeprozesse, sichert deren Qualität und entwickelt sie weiter

  1. Wir fordern, die Konzeptvergaben zu verstetigen und zügig qualitativ weiter zu entwickeln. Kernaspekte sind:
    • Abkehr von starren Bewertungsrastern, Ersatz durch weiter gefasste Themenziele, die einen relevanten Gestaltungsspielraum zulassen. Installation eines Begleitgremiums, das die Konzepte nach persönlicher Vorstellung durch die Gruppen bewertet (z. B. Frankfurt). Im Begleitgremium sind die Bezirkspolitik und externe Fachleute für das gemeinschaftliche Wohnen vertreten. Die Ergebnisse werden transparent kommuniziert.
    • Definition der Zielvorgaben im Einklang mit Nachhaltigkeits- und insbesondere Klimazielen6. Die baurechtlichen Vorgaben bilden hierbei nur einen Mindeststandard, sollen aber wo immer möglich deutlich überschritten werden. Das Ziel sind ressour-cenneutrale Gebäude (Zero-Impact-Buildings).
    • Bestimmung von Prioritäten, die grundstücks- oder plangebietsbezogen von der Politik festgelegt werden.
    • Abstimmung der Prozesse auf die Leistungsfähigkeit der Zielgruppen -formell und finanziell- z. B: Begrenzung der Planungstiefe für Vorkonzepte, mind. 6-12 Monate Anhandgabe des Grundstücks für Konzeptgewinner mit moderaten finanziellen Bindungen.
  1. Wir fordern den Aufbau eines Grundstücks- und Objektportfolios, das Möglichkeiten für das große Engagement und die Kreativität lokaler Akteure bietet. Darin insbesondere
    • Verkauf zum Festpreis abzgl. Nachlässen bei Übererfüllung von gemeinwohlrelevanten Anforderungen;
    • Anwendung des Residualwertverfahrens auf gemeinwohlgebundene Projekte (siehe u.a. München);
    • Abgabe der Grundstücke nach Wahl im Erbbaurecht, mit kapitalisierter Erbpacht und – für gemeinwohlorientierte Träger – ggf. auch Kauf;
    • Strategischer Ankauf von Flächen für das selbstorganisierte gemeinschaftliche Wohnen und Wirtschaften. Nutzung des Vorkaufsrechts, wo immer möglich.
  1. Wir fordern eine strategische Bauleitplanung mit großzügigem Gestaltungsspielraum für Konzeptvergaben an innovative Projekte. Die Beratungsstelle für gemeinschaftliches Wohnen in der Wohnungsbauleitstelle ist frühzeitig in alle Stadtentwicklungsprojekte einzubeziehen (s. Hamburg) zur
    • strategischen Verortung von gemeinschaftlichen Projekten, um deren Wirkung ins Quartier zu nutzen;
    • Orientierung am Bedarf von gemeinschaftlichen Projekten, Lage, Größe, Art des Baufelds, Minimierung von Festsetzungen, die die Kreativität in Konzeptvergaben unnötig einschränken (z. B. Festlegung nur der Baufeldaußengrenzen).
  1. Wir fordern dazu auf, die städtischen Gesellschaften, insbesondere die Moderne Stadt und die GAG, in diesem Sinne auszurichten und zu proaktiven Partnern in der Umsetzung dieser Ziele zu entwickeln. Die Moderne Stadt ist als Entwicklungsgesellschaft insbesondere für die konzeptionelle Integration und operative Unterstützung bei der Entwicklung neuer Bauge-biete einzubeziehen. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft GAG soll die Kooperation mit Gruppen und Projekten durch Bereitstellung ihres Knowhows oder als Ankerentwickler in größeren Baufeldern weiterentwickeln.
  1. Wir wünschen uns, dass sich die Stadt Köln zukünftig in den nationalen Diskurs zu Fragen der gemeinwohlorientierten Immobilienentwicklung einbringt, um ihren eigenen Anspruch Nachhaltigkeitsstadt und Smart-City zu sein, zu erfüllen. Das dient der kontinuierlichen Weiterentwicklung eigener Instrumente, fördert die regionale Kooperation und die Co-Competition, also den förderlichen Wettbewerb der Ideen, zwischen den Städten als Innovationstreiber. Hierzu gehört, über den Städtetag, politische Repräsentanten und Gremien, auf Landes- und Bundesebene proaktiv an einer Verbesserung der Rahmenbedingungen mitzuwirken.

Die Unterzeichnerinnen stehen in ihrer Vielfalt und Verschiedenheit hinter diesen zentralen Forderungen, unabhängig von individuellen Bedarfen oder Einzelinteressen, die mit diesen Aussagen nicht im Widerspruch stehen. Wir fordern die Stadt auf, zum Wohle der Stadtgesellschaft in einen umgehenden und auf kontinuierliche und zügige Verbesserung ausgelegten Dialogprozess mit den Akteurinnen, einzutreten und attraktive und ambitionierte Pläne für die Umsetzung der Forderungen vorzuschlagen.

Unterzeichner*innen

Allerweltshaus e.V. Köln —– artrmx e.V. —– Baugruppe [RH]EINBLICK —– Baugruppe Kautschukstraße in der Woge Köln eG —– Colabor e.V. —– Hof der Familie eG i.G. —– KLuG – Köln leben & gestalten e.V. —– Köln-Agenda —– Lebensräume in Balance e.V. —– LemAn-Leben mit Anderen e.V. —– Lisa Hugger —– Nachbarschaft Köln Mülheim Nord e.V. —– Netzwerk für gemeinschaftliches Bauen und Wohnen —– Neues Wohnen im Alter e.V. —– STADTRAUM 5und4 e.V. —– Unter einem Dach in Köln e.V. —– Utz Küpper —– Villa Anders —– Woge Köln eG für selbstverwaltetes, soziales und ökologisches Wohnen —– WohnenWagen —– Wohnprojekt Residenten —– Wunschnachbarn

Köln, den 14.1.2020

Koordination durch:
Sascha Gajewski – Vorstand STADTRAUM 5und4 und
Almut Skriver – Netzwerk für gemeinschaftliches Bauen und Wohnen im hdak.

Bündnisadresse: Mehr-als-Wohnen-Pakt@stadtraum5und4.org